Persönliche Zwischenbilanz

Welche Themen beschäftigen mich und wie geht es weiter mit kritische-maennlichkeit.de?

Liebe Leser*innen von kritische-maennlichkeit.de, dieser Text ist ein etwas zu lang geratener (erster) Newsletter. Nachdem ich es nicht geschafft hatte etwas wie eine Bilanz nach einem Jahr zu ziehen, dachte ich mir, ich hole das einfach sechs Monate später nach. Da die Themen, die in den letzten 18 Monaten in mir arbeiten und die Themen, die auf dem Blog behandelt werden, natürlich zusammenhängen, ist es ein etwas persönlicherer Blick auf diese Zeit und einen Ausschnitt dieser Auseinandersetzungen geworden. Neben einem Überblick zu den veröffentlichten Texten und damit zur Entwicklung des Blogs, werde ich einen Blick auf meine eigene Entwicklung zum Thema „Kritische Männlichkeiten“ werfen.

Kurzer Werbeblock in eigener Sache:

Jetzt aber zur Zwischenbilanz und kritische Männlichkeiten

Als ich mich im Sommer 2018 dazu durchgerungen hatte, mit einem Blog zu Männern und Feminismus an den Start zu gehen, ging diese Entscheidung mit erheblichen Zweifeln einher: Wen interessiert überhaupt meine Auseinande rsetzung mit pro_Feminismus? Warum sollte ausgerechnet ich etwas dazu sagen? Zu welchen Dingen kann oder muss ich etwas sagen? Und zu welchen Themen äußere ich mich besser nicht? Benutze ich die richtige Sprache? (Wie) komme ich aus der Position raus, ein Mansplainer zum Thema Feminismus zu werden? Was für Reaktionen und Feedback bekomme ich von Männern und von Feministin*nen?

Ich muss aber sagen, dass sich die Auseinandersetzungen mit den Themen pro_Feminismus, Gender und Männlichkeit für mich gelohnt haben, selbst wenn nicht alle Zweifel zerstreut sind (eher im Gegenteil). Nicht nur habe ich hauptsächlich ein super Feedback bekommen und ich habe tolle neue Kontakte geknüpft und spannende Begegnungen gehabt. Auch habe ich mich während meiner Auseinandersetzung mit diesen Menschen und Themen weiterentwickelt und viel Neues gelernt. Das ging eigentlich schon gleich am Anfang los.

So dachte ich mir als guter Ökonom in meiner Naivität als privilegierter, weißer, cis Mann; mach ich erstmal eine ordentliche „Wettbewerbsanalyse“…

Eine schockierende Erfahrung! Neben einer gewissen Verunsicherung, die darauf beruht, dass es sehr wenige andere pro_feministische cis männliche Blogger /Aktivisten im Internet gibt (Warum ist das so? Übersehe ich etwas?), war ich schockiert von dem ganzen Hass und antifeministischen Bullshit, der im Internet verbreitet wird. Während ich mich also ursprünglich gefragt hatte, warum Männer nicht nach #MeToo usw. langsam mal solidarischer und pro_feministischer werden, zumal sie ja auch einen erheblichen Vorteil davon hätten (und z.T. erheblich unter Druck stehen), sich mit Gender auseinanderzusetzen, hat es bei mir langsam gedämmert, dass ganz im Gegenteil eine große Anzahl an Männer gerade total am Rad drehen und sich mit aller Kraft gegen Gleichstellung bzw. irgendwelche angeblichen Gemeinheiten von Feministin*nen stellen.

So war z.B. das frauenverachtende WikiMANNia (externer Link zur Taz) einer der ersten Treffer, wenn man „Kritische Männlichkeit“ gegoogelt  hat. Oder anders formuliert, während ich anfangs dachte, Männer müssten pro_feministischer werden, denke ich inzwischen, es wäre schon viel gewonnen, wenn sie nicht so antifeministisch wären.

Triggerwarnung: Kleine (ausnahmsweise gegen Männer gerichtete) antifeministische Leseprobe:

Ein besonders dickes Lob geht übrigens an Kersten Artus (Vorsitzende von Pro Familia Hamburg), die Strafanzeige gegen die Betreiber der Seite de.Wikimannia.org gestellt hat.

Leseprobe von WikiMANNia. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man drüber lachen…
Es gibt zu wenig pro_feministische Ressourcen, die sich an Männer richten

Diese Auseinandersetzung mit Antifeminismus (hier auch ein Podcast zu Antifeminismus) zieht sich seit dem wie ein roter Faden durch meine Texte und hat mich auch dazu verleitet eingangs fünf Kriterien aufzustellen, um kritische-mannelichkeit.de von antifeministischen Blogs und Websites abzugrenzen. Auch diesen Text zu Lebenserwartung habe ich verfasst, um einige der wissenschaftsfeindlichen Argumente von Antifeministen anhand eines Beispiels zu wiederlegen. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass der antifeministische Backlash real ist und seitdem z.B. bei unseren europäischen Nachbarn in Ungarn die Genderwissenschaften verboten wurden, sich das Land hin zu einer „transfeindlichen Autokratie“ entwickelt (externe links zur Taz) und sich die Anzahl der AFD-Wähler*innen sowie Amok laufender Incels auch hierzulande erhöht. Vermutlich auch ein männliches Privileg, sich nicht mit antifeministsichem Bullshit auseinandersetzen zu müssen bzw. dies einfach auszublenden (und das alles erst zu bemerken, wenn ich mich explizit damit auseinandersetze).

Diese fehlenden pro_feministischen (off- und insbesondere online) Angebote für cis Männer in Kombination mit dem Überangebot an antifeminstischem Bullshit halte ich für ein sehr großes Problem. Es gibt sehr viele Fragen, die cis Männer bezüglich Feminismus haben, die einfach auftauchen, wenn wir als heterosexuelle cis Männer in diesem Land aufwachsen. Diese Fragen scheinen so ziemlich allen Männer irgendwann im Laufe dieser Auseinandersetzung durch den Kopf zu gehen. Sich Antworten im Internet zu suchen, scheint 2020 ein ganz normales Vorgehen zu sein. Aber es ist eine Katastrophe, dass beispielsweise (insbesondere junge) Männer, die verunsichert sind bezüglich ihrem Verhältnis zu Frauen (Pornokonsum lässt grüßen) dann bei den Incels und Pick-Up-Artists landen.

Zielgruppe heterosexuelle cis Männer?

Anfangs wollte ich mich mit meinem Blog an (primär hetero cis) Männer richten, die schon etwas „fortgeschrittener“ sind in ihrer Beschäftigung mit Gender und pro_Feminismus (beispielsweise mit Artikeln wie diesem hier zur Konstruktion einer eigenen Version von Männlichkeit). Aber ich habe ziemlich schnell gemerkt, dass ich doch noch mehr auf „spezielle“ Fragen von Männern zu Gender und Feminismus eingehen sollte, die ich z.B. in den beiden einleitenden Texten behandle (Was ist eigentlich kritische Männlichkeit? und Herangehensweise an kritische Männlichkeit).

Diese „Basics“ finden sich aber auch z.B. in diesem Text zu Was bedeutet eigentlich cis Mann und warum brauchen wir diese Bezeichnung? und dem Aufruf zur Selbstorganisation von cis Männern für den 8. März wieder (und nicht zuletzt im Glossar). Dennoch basiert die Sensibilisierungsarbeit, die ich mache, wesentlich auf der Sensibilisierungsarbeit, die FLINT*-Personen bereits geleistet haben (inklusive bei mir), weshalb mir eine Vernetzung mit Feministin*nen sehr wichtig ist und viele der hier aufgegriffenen Themen von FLINT*-Personen an mich herangetragen wurden.

Das binäre Geschlechtssystem, Biologismus und Sexpositivität

Zu vielen Fragen, zu denen speziell cis Männer Position beziehen sollten oder wollen, bin ich bisher noch gar nicht gekommen, vor lauter Notwendigkeit mich von Antifeminismus und Maskulismus abzugrenzen. So sind zum Beispiel gerade Antifeminismus, Biologismus und die Fähigkeit Geschlecht nicht-binär / außerhalb des binären Geschlechtssystems zu denken, gefährlich miteinander verknüpft. Oder betrachten wir als weiteres Beispiel „Sexpositivität“, ein feministisches Thema, dem ich viel abgewinnen kann (und wenig überraschend viele andere Männer auch).

Im Kontext von kritischen Männlichkeiten erfordert die Auseinandersetzung mit Sexpositivität einiges an Basics. So müssen sich Männer mit Themen wie Slut-Shaming, Rape Culture (externer Link zu Pink Stinks), Safer Sex / Verhütung, Objektifizierung / Sexualisierung (externer link Bildblog), KonsensElternschaft, Schwangerschaftsabbrüche usw. auseinandersetzen, bevor das Thema feministischer Sex auf die Tagesordnung gesetzt werden kann. Denn Sexpositivität erfordert wiederum Gleichheit zwischen den Geschlechtern herzustellen oder dies zumindest AKTIV anzustreben, was wiederum das Denken außerhalb des binären Geschlechtssystems und eine Auseinandersetzung von Männern mit Trans*- und Homophobie erfordert. Kompliziert.

Aber zurück zu der Unterstützung und Vorarbeit durch FLINT*-Personen…

Besondere Credits für die Unterstützung, die ich und dieses Projekt bekommen haben gehen an Olli, die einen Beitrag zu ihren Wünschen an cis Männer auf kritische-maennlichkeit.de veröffentlicht hat. Ohne Ollis Unterstützung, Feedback und Mitarbeit, sowie einem wundervollen Austausch zu Gender und Feminismus, wäre dieser Blog so nicht möglich gewesen. Aber auch ohne die Zusammenarbeit mit anderen Personen wie Caro, Anne, Nadia und Sven*Jan im Kontext des sechsteiligen Podcasts (hier der einleitende Podcast) oder die Kooperationen mit Verunsichert Euch! (hier findet ihr die Audiodatein der Vorträge), FemA Hamburg und vielen anderen feministischen und pro-feministischen Projekten und Einzelpersonen, die ich hier nicht alle erwähnen kann, wäre der Blog nicht so wie er jetzt ist.

Und auch die Gastbeiträge von (einem andern) Olli zu Männlichkeit, von de.constrcut zu Mansplaining und dem LAG e.V. zu Schwangerschaftsabbrüchen sollen nicht unerwähnt bleiben. Danke!

Aber was dauert hier eigentlich so lange?

Für eigene längere Beiträge hatte ich in den letzten Monaten nicht genug Energie. Das liegt wesentlich daran, dass ich bei der Lohnarbeit schon genug vor dem Computer sitze, bzw. andere Themen privater Natur um mich hatte und habe. Aber auch daran, dass ich momentan in verschiedenen kleineren Projekten stecke, aus denen Beiträge entstehen sollen, also habt noch etwas Geduld. Wie ich oben am Beispiel von Sexpositivität dargestellt habe, sind einige der Themen durchaus schwierig zu behandeln und müssen von der Sprache her sitzen (verständlich für Männer und dennoch feministisch), weshalb das alles länger dauert.

Zudem möchte ich mehr Gastbeiträge und andere Kooperationen auf kritische-maennlichkeit.de sehen, da es eben auch viele Themen gibt, zu denen ich nicht so viel sagen kann oder sollte. Bzw. glaube ich, dass es auch ganz andere Zugänge zu Gender, pro_Feminismus, Intersektion und Diskriminierungsabbau gibt, als den, den ich habe (und den ich oft als zu verkopft und akademisch betrachte, was daher sicherlich kein Zugang für alle Männer sein kann, gerade wenn ich Intersektion und beispielsweise Klassismus ernst nehmen will).

Auch ich stecke in einem Prozess und würde gerne mehr Personen einladen hier von ihren Prozessen zu berichten

Außerdem habe ich ja bereits angedeutet, dass meine eigene Reflexion, Widersprüche und Verstrickungen mit Gender und meinem Anspruch an Gleichstellung, auch ein Prozess sind, der mich viel beschäftigt und mir immer wieder vor Augen führt, wo meine Unzulänglichkeiten sind und welche Unterthemen ich bisher noch nicht (ausreichend) auf dem Zettel habe. Daher ist mein Ansatz mich hier immer wieder in den Mittelpunkt zu stellen (so auch jetzt) und mich in gewisser Weise zum „Vorbild“ zu stilisieren, natürlich zu kritisieren bzw. weit entfernt von irgendeiner Wahrheit.

Gastartikel sind daher sehr willkommen, sollte eine*r von Euch (natürlich pro_feministische) Themen / Perspektiven zu Papier bringen wollen, die Eurer Meinung nach wichtig für die Debatte zu Gender / Feminismus und Männern sind (Schreibt mir gerne eine Nachricht!). Denn gerade Männer tragen diese Auseinandersetzungen viel zu oft nur im privaten aus.

kritische-maennlichkeit.de entwickelt sich dennoch weiter…

Nicht zu letzte bleibt zu erwähnen, dass – auch wenn ich nicht mehr viele Beiträge gepostet habe – ich mit der Hilfe anderer kritische.maennlichkeit.de durchaus weiterentwickelt habe. So wurde insbesondere die Bücher und Linkliste ausgebaut (Vorschläge immer willkommen), das Glossar erweitert (mit einigen durchaus lesenswerten Beiträgen z.B. zum Thema Manspreading) und Workshops zu kritische Männlichkeiten und Antisexismus ausgearbeitet. Gerade den Austausch mit anderen Männern in Workshops empfinde ich als (zeit)intensiv und teilweise anstrengend aber gleichzeitig als bereichernd und wichtig, um mehr Rückmeldungen zu bekommen (die Kommentarfunktion auf kritische-maennlichkeit.de hat sich bisher ja eher als unbeliebt erwiesen).

Und der ganze Kram um Instagram, Facebook und Twitter ist auch zeitintensiv, aber irgendwie notwendig, damit kritische-maennlichkeit.de auch tatsächlich Männer erreicht (gerne folgen und teilen).

Abschließend…

Kein Wunder also, dass ich nicht so häufig Newsletter schreibe, da ich mich offensichtlich nicht wirklich kurz fassen kann zu diesen Themen. Daher mache ich jetzt einen Punkt. Ich bin auf jeden Fall zufrieden mit dem Einstieg dieses Blogs und glaube, er bietet inzwischen für interessierte Männer einen guten Anstoß zum Thema „kritische Männlichkeiten“, einige Inspirationen und weiterführende Quellen, um sich damit auseinanderzusetzen. Und auch wenn sicherlich viele Männer (und auch Frauen) denken, ich sei ein lila Pudel, der sich Feministinnen anbiedert, plane ich als Überzeugungstäter am Thema dran zu bleiben und wünsche mir noch weitere Beiträge zu Männern und Feminismus, um dieses wichtige Thema konstruktiv voranzutreiben.

Fragen? Anmerkungen? Schreibt mir gerne eine Nachricht! Oder benutzt doch die Kommentarfunktion unten?

Liebe Grüße
Janosch

P.S. In Zukunft werden dennoch ab und an Newsletter kommen. Hier kannst du den Newsletter bestellen.

Und nicht vergessen den Podcasts hier zu abonnieren!


Diesen Veranstaltungshinweis habe ich aufgrund mangelnder Aktualität nach unten verschoben:


Hier geht es zum Podcast zu männlicher Rededominaz, sexistischem Redeverhalten, Silencing Praktiken, Mansplaining, Derailing, Tone Policing, Victim Blaming, Whataboutism, Gaslighting…


Bilder: Titelbild via WikimediaCommons, Rösener, Langenweddingen 1951 (Bauern vor der Wandzeitung), CC-BY-SA 3.0. Lila Pudel (Instagram & Facebook) via WikimediaCommons, Jack Newton, CC BY-SA 2.0.


Die neusten Beiträge:

Dies ist ein pro-feministischer Blog, der sich mit Themen der Männlichkeit und darüber hinaus auseinandersetzt. Wenn Du zum ersten mal hier bist, lohnen sich vielleicht diese zwei Texte: Was ist kritische Männlichkeit? und Herangehensweise an kritische Männlichkeit.

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