Gründung einer kritischen Männlichkeiten Gruppe

Gastbeitrag zu kritische Männlichkeit Gruppen: Gründung einer Gruppe, die sich kritisch mit Männlichkeiten* auseinandersetzen möchte

In den 70er Jahren entstand das Konzept der pro-feministischen Männergruppen, ausgelöst durch die zweite Frauenbewegung (so zumindest ist es in der kleinen „Geschichte der Männergruppenszene in der BRD“ im Männerrundbrief (1997) nachzulesen). Die Frage wie Männer feministische Kämpfe unterstützen können ist natürlich noch älter, genauso wie die Frage, ob Männergruppen überhaupt eine gute Art und Weise sind sich mit Männlichkeiten, Sexismus und Patriarchat zu beschäftigen. Die Idee sich in Gruppen organisiert und kontinuierlich mit Gender, Privilegien, pro_Feminismus, Männlichkeiten und / oder der eigenen Männlichkeit auseinanderzusetzen ist nach wie vor aktuell. Viele Menschen stellen sich die Frage, wie sich Männlichkeiten und Feminismus zusammen denken lassen und welche Rolle Männer und Männlichkeiten in feministischen Kämpfen einnehmen können und sollen. Eine Gruppe cis Männer, die sich seit mehreren Jahren mit dem Thema auseinandersetzt und sich auch mit diesen Fragen beschäftigt, hat aufgrund von zahlreichen Nachfragen aus dem Bekanntenkreis einen Text verfasst, der Vorschläge anbieten soll, wie eine organisierte Form der pro_feministischen Außeinandersetzung mit Männlichkeiten aussehen könnte. Mit einigen weiterführenden Links wollen wir diesen Text zur Diskussion stellen.

An dieser stelle sei nicht unerwähnt, dass die Vernetzung von Männern durchaus auch problematisiert werden muss. So haben reine Männer-Gruppen meist kaum Außenwirkung und tendieren dazu um sich selbst zu kreisen. In anderen kritische Männlichkeiten Gruppen wird Täterschutz betrieben und antifeministische Argumente Diskutiert („der Mann als Opfer im Patriarchat“). Es wird also einfach nur ein weiterer Männerbund gegründet.

Dennoch halten wir es für wichtig, dass cis Männer, für sich und Andere Lernräume zu Männlichkeiten, Diskriminierung und eigenen Privilegien zu organisieren. Die Betonung liegt dabei auf sich organisieren und nicht einfach nur Lernräume fordern! Es ist nicht die Verantwortung von FLINTA* sich darum zu bemühen die Auseinandersetzung von cis Männern mit ihren Privilegien und Zurichtungen durch patriarchale Hierarchien anzustoßen und zu betreuen. Die feministische Forderung, dass cis Männer deshalb selbst aktiv werden müssen, wird auf diesem Blog voll unterstützt. Daher freuen wir uns sehr über diesen Gastbeitrag zur Gründung einer Gruppe, die sich kritisch mit Männlichkeiten beschäftigen soll. Wenn Ihr Fragen_Anmerkungen an die Gruppe habt oder weiterführende Texte zum Thema empfehlen wollt, postet diese bitte in die Kommentare.

Gründung einer Gruppe, die sich kritisch mit Männlichkeiten* auseinandersetzen möchte:

Du bist vermutlich auf diesen Text gestoßen, weil du/ ihr eine Gruppe gründen wollt, die sich (pro-) (1) feministisch und kritisch(2) mit Männlichkeiten(3)*(4) auseinandersetzen soll. Uns ist wichtig zu sagen, dass wir in diesem Text nicht schreiben wollen wie es richtig geht, sondern nur Dinge weitergeben möchten auf die wir in unserer eigenen Auseinandersetzung gestoßen wurden oder gestoßen sind. Die Dinge, die wir im folgenden schreiben, sind also Dinge bei denen wir in erster Linie denken, dass sie Menschen helfen könnten eine Gruppe zu gründen, ohne dabei aber einen Anspruch auf Richtigkeit oder Expertise zu erheben. Gleichzeitig haben wir durch unsere eigenen gesellschaftlichen Positionierungen (siehe unten) eine eingeschränkte Perspektive auf die Dinge.

Ein erster Punkt sollte sein, dir selbst ein paar fragen zu stellen und über diese nachzudenken

U.a. folgende Fragen finden wir dabei wichtig: Was ist meine Motivation? Wie kam ich zu der Idee eine solche Gruppe gründen zu wollen? Was sind meine Wünsche, Vorstellungen und Bedürfnisse an diesen Prozess? Wie bin ich selbst in dieser Welt positioniert, was hat das mit Männlichkeiten* zu tun und was ergibt sich daraus für mich für eine Perspektive der Auseinandersetzung? Darüber solltest du dich auch mit Menschen austauschen, mit denen du gerne in einer solchen Gruppe sein möchtest. Das hilft nicht nur bei deinem eigenen Denkprozess, sondern bringt evtl. auch neue Ideen und Interessierte.

Wir glauben, dass es wichtig ist sich dabei bewusst zu machen, dass es keinen individuellen „Ausstieg“ aus den Verhältnissen gibt. Das heißt auch, sich abseits einer Gruppe, in der du dich kritisch mit Männlichenkeiten* auseinandersetzt, (pro-)feministisch zu engagieren, zu Vernetzen, Unterstützung anzubieten, andere (pro-)feministische Kämpfe zu unterstützen. Bei der Suche nach Personen für diese Gruppe glauben wir, dass es wichtig ist den Suchprozess für möglichst viele Menschen zugänglich zu machen, dabei aber nicht die eigenen Bedürfnisse zu vergessen.

Für uns war dabei wichtig sich auch folgende Fragen zu stellen:
  • In welchen Geschlechter*verhältnissen sollte die Gruppe zusammengesetzt sein und warum?
  • Welche Gruppengröße kann ich mir vorstellen?
  • Wie verbindlich will ich mich dieser Gruppe widmen?
  • Was will ich bzw. wollen wir eigentlich machen? (Dabei soll es darum gehen einen Modus zu finden wie eine ernsthafte und kontinuierliche Auseinandersetzung mit Männlichkeiten* aussehen kann. Dazu gibt es auch schon Ideen und Gedanken da draußen. Hört euch um und sucht danach.)
  • Wie viel „safe-space“ brauche ich, um aus meiner Komfortzone heraus zu kommen?

Für einen Prozess einer reflexiven, kritischen und möglicherweise transformativen Auseinandersetzung mit Männlichkeiten ist es unserer Meinung nach wichtig und vor allem notwendig die eigene Komfortzone zu verlassen. Dabei solltest du dich fragen wie das für dich möglich ist.

Nicht um euch selbst drehen und immer wieder an die gleichen Punkte in eurer kritische Männlichkeiten Gruppe besprechen

Diese Punkte und Fragen solltet ihr euch auch immer wieder stellen und neu reflektieren, aber euch darin wiederum nicht verlieren. Das soll heißen, dass ihr darauf achten solltet euch nicht um euch selbst zu drehen und immer wieder an die gleichen Punkte in eurer Auseinandersetzung zu kommen. Entscheidende Hilfestellungen dazu waren für uns auch Workshops, Blogs, Queertopia(.org), Zines, Texte, Zeitungsartikel etc. und Menschen, die von unserer Auseinandersetzung wussten und uns mit hilfreichen Lesematerialien, kritischen Perspektiven und Veranstaltungshinweisen versorgt haben.

Ein weiterer Punkt, den wir für sehr wichtig halten ist es eure Prozesse und Auseinandersetzungen transparent zu machen. Das heißt sichtbar zu machen was ihr macht, jedoch nicht im Sinne von Profilierung, sondern um Offenheit für Rückmeldungen und Kritik zu signalisieren. Das zu signalisieren, impliziert gewillt sein Kritik und Feedback von außen zu bekommen und auch dementsprechend damit umzugehen. Das heißt Kritik wertschätzend anzunehmen und sich mit dieser konstruktiv und inhaltlich auseinanderzusetzen. Kritik von außen kann und sollte für euch eine wichtige Grundlage der Auseinandersetzung sein. Überlegt euch daher, was es für Möglichkeiten gibt eure Prozesse transparent zu machen, ohne Leuten eure Auseinandersetzung dabei aufzudrängen oder aufzudrücken. Überlegt euch wen eure Gedanken etwas angehen und wie ihr es schaffen könnt diese Leute daran teilhaben zu lassen. Wir wollen euch auch ans Herz legen, euch zu vernetzen.

Abschließend wollen wir noch gesondert auf ein Thema eingehen:

Eine Gruppe, die sich kritisch mit Männlichkeiten* auseinandersetzt ist keine transformative Arbeitsgruppe oder ein Ersatz dafür. Personen die Gewalt ausgeübt haben, können Teil einer kritische Männlichkeiten Gruppe sein, jedoch kann es nicht der einzige Ort der Auseinandersetzung für sie sein. Weiterhin entsteht dadurch eine besondere Verantwortung für die Gruppe.

Lasst euch nicht zu sehr verunsichern und habt keine Angst vor Kritik, sondern setzt euch eben dieser aus und damit auseinander. Diese Kritik kann und sollte euch als Grundlage dienen, genauso wie die Ideen und Forderungen feministischer Kämpfe. Wir haben es selber bei uns erlebt und bei anderen Versuchen beobachtet, dass es eine solche Gruppe nicht über den ersten Enthusiasmus hinaus schafft, wenn es nicht Personen gibt, die die Verantwortung übernehmen Dynamiken von Frust, Lustlosigkeit, Abwehr und Widerständen zu durchbrechen.

Für Kritik, Anmerkungen, Material, Austausch etc. schreibt uns gerne einen Kommentar. Mails werden auch über das Kontaktformular weitergeleitet. Wenn ihr aber Fragen und Anmerkungen habt, wäre es super, die hier in den Kommentaren zu posten, damit mehr Menschen durch diese Fragen lernen können.


Wer hat den Text zur Gründung einer kritische Männlichkeiten Gruppe geschrieben?

Wir sind eine Gruppe von vier Personen, die sich in unterschiedlichen Konstellationen seit mehreren Jahren mit dem Thema Männlichkeiten* auseinandersetzt. Wir treffen uns wöchentlich und sind neben unserer Gruppe anderweitig politisch aktiv. Wir sind alle cismännlich, weiß, abled und haben studiert. Unsere sexuellen Orientierungen und unsere Zugänge zum Thema Männlichkeiten* Feminismus sind teilweise unterschiedlich. Wir haben den Text geschrieben, weil wir die kollektive Auseinandersetzung mit Männlichkeiten* wichtig finden und wir unsere Erfahrungen und Aspekte, auf die wir gestoßen sind bzw. wurden gerne teilen möchten.

Anmerkungen:

(1) Wir denken, dass Männlichkeitskritik durch Männer nur aus einer profeministischen Position heraus praktiziert werden kann. Profeministisch soll zum einen die Verbundenheit zu feministischen Bewegungen und Kämpfen implizieren und zum anderen ein Abstandsverhältnis verdeutlichen, das Vereinnahmung des feministischen Diskurses und seinen Kampfbegriffen vermeiden soll. Nachzulesen unter anderem in: Waldmann, M. (2019). Queer/Feminismus und kritische Männlichkeit – Ethico-politische und pädagogische Positionen. Budrich UniPress, Opladen, Berlin,Toronto, 2019, Seite 13.

(2) Kritisch ist ein schwammiger Begriff, der hier soviel heißen soll wie eine reflexive und selbstkritische Auseinandersetzung, die eine stetige Infragestellung und Hinterfragung von (eigenen) Handlungen und männlichen* Praxen bedeutet.

(3) Männlichkeiten stehen deshalb in der Mehrzahl, da es nicht die Männlichkeit (oder die Weiblichkeit) gibt, sondern diese aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionierungen heraus gebildet werden können, sodass eine Vielzahl an unterschiedlichen Männlichkeiten (und Weiblichkeiten) existieren. Es entsteht dabei ein komplexes (hierarchisches) Gefüge zwischen unterschiedlichen Männlichkeiten. Eine gute theoretische Grundlage dafür bietet die Theorie der Männlichkeiten von Raewyn Connell in: Connell, R. (2015). Der gemachte Mann – Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Springer-Verlag, Wiesbaden, 2015

(4) Das Sternchen (*) kann sehr verschieden verwendet werden. In unserem Text soll es die soziale Konstruktion von Begriffen kennzeichnen und diese von einem biologischem Determinismus, der von einer gewissen Natürlichkeit und Unveränderbarkeit von Geschlecht ausgeht, abgrenzen.


Weiterführende Links zum Thema kritische Männlichkeit Gruppe:

Solltet ihr andere gute Links / Texte zum Thema kennen, schreibt mir eine Mail oder postet sie in den Kommentaren.


Bild: Illustration von einer Genossin


Die fünf neusten Beiträge:

Dies ist ein pro-feministischer Blog, der sich mit Themen der Männlichkeit und darüber hinaus auseinandersetzt. Wenn Du zum ersten mal hier bist, lohnen sich vielleicht diese zwei Texte: Was ist kritische Männlichkeit? und Herangehensweise an kritische Männlichkeit.

4 Kommentare zu “Gründung einer kritischen Männlichkeiten Gruppe”

  1. Hallo Janosch und alle Anderen,
    ich bin jemand der sich als grundsätzlich progressiv und pro-feministisch einschätzen würde. Da ich seit einem Jahr auch aktivistisch aktiv bin und ich mich nun in die Bildung einer Kritische Männlichkeiten Gruppe partizipieren möchte, hatte ich mir bereits einige Gedanken gemacht.

    Jedoch empfinde ich das Thema als sehr komplex und bin nicht sehr zufrieden wie ich das umsetzten möchte. (bzw. wie ich mich da einbringen möchte)

    Soweit ich verstanden habe beziehen sich Kritische Männlichkeiten Gruppe auf die eigene linke Szene.
    Meine Befürchtung ist, dass eine Kritische Männlichkeiten Gruppe selbst hier auf wenig Ressonanz stoßen wird. Gerade in Zeiten wo Frauenfeindliche Aussagen im Internet schnell Millionen von Klicks erreichen, wirkt das vergeblich. Ich würde gerne auch Leute ausserhalb der Ingroup erreichen.

    Ich sehe das in unserer Gesellschaft viele junge Männer quasi auf die rechte Pipeline rutschen, weil es schlicht im linken Kosmos nichts adequates gibt. Das Menschen wie Jordan Peterson als „Vaterfigur“ so erfolgreich sein können liegt an einem Mangel und auch an der scheinbaren Unattraktivität des Feminismuses an junge Männer.

    Ich würde gerne das Thema im Kontext der eigenen Persönlichkeitsentwicklung ausarbeiten. Viele Männer möchten ihre eigene missliche Lage verbessern. Feminismus kann dies innerhalb eines gewissen Rahmens anbieten. Ich empfinde das Selbstverbesserung ein guter Ansporn ist sich mit seine Männlichkeit kritisch zu hinterfragen.

    Mir ist vollkommen bewusst, das ich hier von der Grundidee abweiche und das der kritischen Männlichkeit vor allem der Gerechtigskeits- und Solidaritätsgedanke mit FLINTA vorrausgeht. Aber ich halte das für den richtigen Weg und bin für jeden Impuls dankbar.
    Liebe Grüße

    1. Der hauptsächliche Grund, warum Leute wie Jordan Peterson so erfolgreich sind, ist wahrscheinlich, dass sie Dinge sagen, die zwar der Wahrheit entsprechen, aber in bestimmten Szenen als unsagbar gelten. Wenn ihr tatsächlich Männer dafür gewinnen wollt, sich mehr für die Rechte von nicht-Männern einzusetzen, solltet ihr vielleicht damit anfangen sie nicht ständig als die Schuldigen für alles zu denunzieren.

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